Liebe geht raus!
Daumen-hoch zum World-Emoji-Day? Dann sind Sie vermutlich fortgeschrittenen Alters. Und zu ihren Top-Emojis gehören außerdem das rote Herz und der grüne Haken. Aus Sicht der jüngeren Menschen ...
Beitrag lesenAm Mittwoch, 31.1.2024 hat Sarah Vecera bei Zukunft, Trends & Diskurse hinter die Kulissen ihres Instagram Accounts @moyo.me blicken lassen. Sie hat erläutert, welches Anliegen sie mit ihrem Account verfolgt und welchen Einfluss ihre digitale Präsenz auf ihre analoge Arbeit hat. Außerdem teilte sie Hintergrundwissen zu den Ebenen von Rassismus, Wirkweisen und welche Herausforderungen es mit sich bringt, als eine Person zu dem Thema zu arbeiten, die selber negativ durch Rassismus benachteiligt ist.
Ich finde, es ist hilfreich zu verstehen und zu hören, was sich hinter den Kulissen abspielt, gerade wenn man sich als marginalisierte Person zu Diskriminierung äußert. Das hat Auswirkungen, die für viele nicht sichtbar sind. Was relativ verständlich ist und ich sage das auch nicht, um jemand einen Vorwurf zu machen. Genau deshalb freue ich mich, dass ich bei Zukunft, Trends und Diskurse meine Perspektive mit der Fachzielgruppe der Evangelischen Medienakademie teilen kann.
Erstmal zum Namen: Moyo ist Suaheli und heisst Herz. Moyo.Me ist eine Kunstform aus Moyo und Me und ich wollte damals schon deutlich machen, dass ich ein Herzensanliegen habe. In aller Schwere, die das Thema Rassismus mit sich mitbringt, war es mir wichtig, nicht Menschen zu beschuldigen oder zu beschämen und das ist auch bis heute mein Anliegen. Den Account @moyo.me gibt es seit 2017 und seit ungefähr 2019 poste ich auch inhaltlich Dinge aus meiner Bildungsarbeit bei den Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Das hat aber lange Zeit nicht so viele Menschen interessiert.
Seit 2013 arbeite ich für die VEM und mache dort Bildungsarbeit hinsichtlich Rassismus. Lange Zeit mit Freiwilligen, das heißt für Menschen aus Deutschland, die für ein Jahr nach Asien oder Afrika gehen und auch für Menschen aus Asien und Afrika, die für ein Jahr nach Deutschland kommen. Dort gebe ich auch heute noch Trainings. Das Thema Rassismus als gesamtgesellschaftliche Struktur, beschäftigt mich Zeit meines Lebens: Seitdem ich in eine weiße Dominanzgesellschaft hineingeboren wurde.
Seit 2020, nachdem zwei Vorfälle geschahen: Einmal in Hanau, der rassistische Amoklauf am 19. Februar und der Mord an Georg Floyd am 25. Mai in Minneapolis. Das hat beides dazu geführt, dass in der Pandemie Menschen auf die Straße gegangen sind und es war das erste Mal in Deutschland, dass Menschen für die Rechte Schwarzer Menschen demonstriert haben. Das hat natürlich viel Diskussion in die Gesellschaft gebracht. Denn bei Rassismus haben wir lange Zeit an die Nazis gedacht, wir haben an Rechtsextremismus gedacht. Aber wir haben Rassismus nicht als etwas wahrgenommen, das gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hat: Nämlich in allen Facetten in unserer Gesellschaft und auch wir selber rassistisch geprägt sind. Und damit meine ich uns alle. Ob wir negativ dadurch getroffen sind, oder bevorteilt sind. Rassismus ist etwas, das uns prägt.
Dadurch nahm das Thema auch bei mir auf Instagram viel mehr Raum ein. Bis dahin hatte ich ungefähr 900 Follower*innen. Das waren alles Menschen, die ich noch weitest gehend kannte. Durch die hohe Aufmerksamkeit hat sich moyo.me mehr und mehr zu einem öffentlichen Account entwickelt. Was ich sehr gut fand, aber was natürlich auch mit Arbeit verbunden war. Denn plötzlich folgten mir mehr Menschen und die wollten Antworten und das war so alles erstmal nicht vorhersehbar.
Social Media bietet eine Chance zu partizipieren. Denn ohne Social Media würde ich nicht in eine Synode eingeladen werden und auf Dinge aufmerksam machen. Da bietet Social Media eine sehr gute Möglichkeit zu partizipieren und das Wort zu ergreifen. Denn die Menschen entscheiden dort selber, wem sie zuhören wollen. Auf Social Media wird eine andere Form der Hierarchie gestaltet. So werden Dinge sichtbar gemacht, die gar keine Möglichkeit haben in anderen kirchlichen Räumen sichtbar zu werden. Das passiert auch gesamtgesellschaftlich: Es gibt große Accounts, die auf Dinge aufmerksam machen. Beispielsweise den Account von @Tupoka Ogette kann ich sehr empfehlen. Dort gibt es sehr viele Learnings. Sie und ihr Team leisten viel Bildungsarbeit auf Social Media. Aber auch in der Kirche gibt es Menschen, wie beispielsweise @natheology und @pastor_vanniekaap. Aber nicht nur aus dem Bereich Rassismus, sondern auch aus dem Bereich Queerness und Abelisums (Diskriminierung im Bereich Behinderung) gibt es Accounts wie @lauterleise, die auf Dinge hinweisen, weil sie sonst in der Kirche nicht gehört werden.
Über meinen Instagram Account sind mehrere Verlage auf mich aufmerksam geworden. Im Sommer 2020 habe ich von drei Verlagen Anfragen bekommen, ob ich ein Buch über das Thema schreiben möchte. Ich habe mich dann für den Patmos Verlag entschieden. Dort ist das Buch „Wie ist Jesus weiss geworden - mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ veröffentlicht worden.
Das ganze Thema hat natürlich unglaublich viele Herausforderungen. Diese Herausforderungen haben vor allem damit zu tun, dass es uns sehr schwer fällt, Rassismus von allen vier Seiten der Diskriminierung zu betrachten. Wenn wir über Diskriminierung sprechen, ist es wichtig, über die strukturelle, die historische, die individuelle und die institutionelle Seite zu reden. Bei Rassismus reden wir aber vor allem über die individuelle Seite - die strukturelle, die institutionelle und die historische Seite blenden wir aus. Rassismus ist in Deutschland moralisch hoch aufgeladen: Wir assoziieren damit Rechtsextremismus und die Nazis. Das ist wichtig, aber wir fühlen uns dadurch in Deutschland sehr schnell angegriffen. Weil natürlich niemand von uns - gerade im kirchlichen Raum und gerade Menschen die sich für Diskriminierung interessieren, auch aus ihrem Glauben und ihrem kirchlichen Engagement heraus - sich selber für rassistisch halten. Wenn dann der Vorwurf des Rassismus im Raum steht, wiegt der Vorwurf meistens schlimmer, als der Rassismus selber.
Wie sehr unsere Gesellschaft aber doch von Rassismus geprägt ist, hat Aladin El-Mafaalani gut in seinem Buch „Wozu Rassismus“ zusammengefasst: „Die Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft sind rassistisch geprägt. Denn alles, was die moderne Gesellschaft ausmacht, entstand in der Hochphase des Rassismus; also zur Zeit der Aufklärung und des Kolonialismus: Die Wissenschaft, die Globalisierung, der Kapitalismus, die Nationalstaaten und ihre Staatsbürgerschaften.“ Wenn wir Rassismus als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sehen, was eben eine strukturelle, historische, individuelle, institutionelle Ebene hat, dann haben wir die Möglichkeit Rassismus nochmal ganz anders zu sehen.
Social Media ist schnell, funktioniert kurzfristig, es gibt viel Streit- und Konfliktpotenzial, aber Social Media bietet auch eine große Chance, wenn die vier Seiten mitbetrachtet werden. Was aber in den meisten Fällen sehr schnell wirkt, sind Abwehrmechanismen. Die gibt es analog wie digital.
Derailing, also Umkehrstrategien, die ablenken:
Skandalisierung „Dass du da jetzt drauf hingewiesen hast, ist der Skandal“. Man redet über den Skandal aber nicht mehr über den Rassismus.
Verlagerung in die Vergangenheit und in den Rechtsextremismus. „Das ist wirklich schlimm, dass was wir hier machen ist nicht so ganz schlimmer Rassismus“ Das verhindert, dass man die Verstrickungen sieht. Beispielsweise wenn man über Fremdenfeindlichkeit spricht, aber nicht die weißen Österreicher*innen meint.
Kulturalisierung. Dass man Kultur als „quasi Rasse“ nimmt. Man spricht über kulturelle Unterschiede aber man nicht so richtig merkt, dass auch eine Hierarchisierung mitschwingt und dass der Begriff der „Rasse“ durch den Begriff „Kultur“ ersetzt wird. Damit will ich nicht sagen, dass es keine kulturellen Unterschiede gibt. Die gibt es. Aber die gibt es nicht so stringent und voneinander getrennt, wie es Rassenideologisch gemeint war. Wir sollten daher aufpassen, wie wir über kulturelle Unterschiede sprechen und denken.
Es ist ein Lernen. Fehler passieren. Auch mir passieren Fehler. Ich habe im Fernsehgottesdienst an Silvester vorletztes Jahr im Fürbitten Gebet gebetet, dass Gott uns in dunklen Zeiten zur Seite steht. Daraufhin gab es einen Leser*innen Brief an die ARD-Beauftragte, dass ich damit Rassismus reproduziert hätte. Kirchlich Sprache trägt bestimmte Bilder in sich. Ich bin davon nicht befreit, Rassismus selber zu reproduzieren. Natürlich ist das erstmal beschämend. Ich habe das vor einem Millionen Publikum gesagt und natürlich kann man auch wieder sagen, es ist übertrieben. Aber gerade ich sollte ja wissen, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Aber ich selber mache auch Fehler und weiß deshalb auch, dass Fehler passieren und dass sie nicht das Ende der Zeiten sind. Es ist ein Lernweg.
Naturalisierung: Verhaltensweisen, Persönlichkeiten, werden als vererbbar angesehen und nicht aufgrund ihrer Sozialisierung oder Lernprozessen. Manche Menschen werden näher an der Natur gesehen, sie gelten als unwissenschaftlich. Das merkt man, wenn man Afrika und Europa bei Google eingibt: Bei Afrika kommen viele Naturbilder und viele Menschen, die nicht sozialisiert sind in unserem Europäischen Sinne und bei Europa bekommen wir Bildung, Hochhäuser. Das steckt alles in unseren Köpfen und genauso reproduzieren wir auch im kirchlichen Bereich Rassismus und Stereotype.
Homogenisierung: Dabei kommt es nicht mehr auf das Individuum an; man wird einer Gruppe zugeordnet. Die Autorin Kübra Gümüsay hat mal gesagt: Wenn man als kopftragende Frau über eine rote Ampel geht, dann wird gesagt, dass „die Muslime“ sich nicht an die Regeln. Aber wenn ein weisßer Mann im Anzug über eine rote Ampel geht, dann hat er einen schlechten Tag, er hat es eilig. Es gibt einen Grund dafür. Wir würden nie auf die Idee kommen zu sagen, dass sich weiß Männer in Anzügen nicht an Regeln halten.
Polarisierung: Wir hier, die dort. Es gibt zwei Gruppen, die getrennt voneinander sind – wir hier, die anderen dort. Es gibt keine hybriden Existenzen von Menschen. Im Januar 2022 erschien in einer kirchlichen Zeitung ein Beitrag von mir: Der Titel der Ausgabe „Das Fremde und wir“ mit einem gephotoshopten Bild mit Schwarzen und einer weißen Hand. Uns ist direkt klar, was das Fremde ist. Das Fremde ist die Schwarze Hand an dem alten Koffer, die vermutlich zu uns geflüchtet ist.
Ein anderes Beispiel ist ein Titel von einer kirchlichen Zeitschrift, die „Korruption und Transparenz“ thematisiert und ein Titelbild mit einer schwarzen Hand mit Geldscheinen verwendet: Welche Hand ist korrupt, es ist die schwarze Hand mit dreckigen Geld, eine ärmliche Hand. Dass Korruption in Millionenhöhe vor allem durch Menschen wie z.B. Uli Hoehneß stattfindet das wird hier ausgeblendet.
Hierarchisierung: Die passiert häufig im kirchlichen Raum. Denn wir kümmern uns. Wir sorgen uns. Aber dass durch auch eine Hierarchisierung entsteht, ist ganz schwer anzusprechen. Denn damit stellen wir uns über die Menschen, um die wir uns kümmern. Natürlich ist es auch gut, für Gerechtigkeit zu sorgen. Aber vielleicht schaffen wir das auch auf Augenhöhe.
Unsichtbarmachung von Menschen auf Colour: Im Februar ist jedes Jahr „Black History Month“ um die Geschichte Schwarzer Menschen sichtbar zu machen, die absichtlich über Jahrhunderte verschleiert und ausgelöscht wurde. Und auch das passiert immer noch und auch in der Kirche. Auf ökumenischen Reisen werden zahlreiche Bilder gemacht und veröffentlicht von Menschen of Color, die in Veröffentlichungen wenn überhaupt einen Vornamen, aber im Gegensatz zu weißen Menschen selten einen Nachnamen oder andere Titel zu haben scheinen.
Zuhören: Menschen of Colour können einen Perspektiv-Wechsel ermöglichen, damit die Kirche unserer multidiverse Migrationsgesellschaft noch erreicht, anspricht und nicht verschreckt. Unbedingt intensive Antirassismustrainings, die mindestens zwei bis drei Tage gehen, um wirklich die eigene rassistische Sozialisation in der Tiefe zu verstehen. Denn es braucht mehr als eine Nettiquette. Es braucht ein tieferes Verständnis und eine persönliche Reflektion. Erst danach macht aus meiner Sicht eine fachliche Beratung Sinn, weil sonst immer wieder die Abwehrmechanismen ad hoc hochkommen und vieles nicht objektiv betrachtet werden kann.
Hinweis: Hier finden Sie das komplette Gespräch mit mehr Zusammenhängen und Hintergründen.
Kommunikationsteams, die in das Thema einsteigen oder weiterarbeiten wollen, finden hier einen Sammlung möglicher Fragestellungen zur praxisorientieren Reflektion
Wir freuen uns über Rückmeldungen zur Prozessgestaltung, Fragestellungen die Sie bearbeiten und Beispiele aus Ihrem Kommunikationsalltag. Im Sinne von Learning out Loud sind wir auf der Suche nach Vernetzung, Weiterentwicklung und Lernpartner*innen in der Sache!
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